Wissenschaftlern der Sektion Experimentelle Dermatologie an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, die sich mit der Gerinnungsforschung beschäftigen, ist es erstmals gelungen, die gemeinsam mit ihren Forschungspartnern postulierten physikalischen Mechanismen der initialen Blutgerinnung experimentell, mithilfe eines künstlich nachgebildeten Blutgefäßsystems, nachzuvollziehen. Es geht um den ersten Schritt der Blutgerinnung beim Wundverschluss und darüber hinaus um den Mechanismus, der dafür sorgt, dass es selbst unter höchsten Flussgeschwindigkeiten ausschließlich zum Verschluss der Wunde und nicht zu einem Gefäßverschluss kommt. Die Mannheimer Wissenschaftler Dr. Volker Huck und Professor Dr. Stefan W. Schneider konnten bestätigen, dass es sich dabei um eine reversible Polymer-Kolloid-Interaktion handelt, die durch hohe Scherkräfte induziert wird.
Das Blut erfüllt wesentliche Aufgaben, die dazu dienen, die Lebensfunktionen aufrecht zu erhalten. Eine der wichtigsten Funktionen ist die des Transports. Indem das Blut Sauerstoff von der Lunge zu den Zellen transportiert und im Gegenzug Kohlendioxid abtransportiert, ist es für die Atmung unabdingbar. Es versorgt außerdem die Zellen mit Nährstoffen und sorgt für den Abtransport von Stoffwechselendprodukten. Zu den Aufgaben des Blutes gehören aber auch die Abwehrfunktion und Wärmeregulierung, und nicht zuletzt der Wundverschluss.
Der lebensnotwendige Blutfluss basiert auf einer feinen Balance zwischen Verblutung und Gerinnung, die permanent im Blut aufrecht erhalten werden muss. Wird das Gleichgewicht gestört, kann es zu Störungen im Blutfluss oder gar zum Verschluss von Blutgefäßen (Thrombosen) kommen. Im umgekehrten Fall können schon kleinste äußere Verletzungen zum Tod durch Verbluten führen.
Die Blutgerinnung sorgt dafür, dass Wunden innerhalb kürzester Zeit verschlossen werden – und zwar ohne dass der Blutfluss unterbrochen wird und ohne dabei gesunde Gefäße zu verstopfen. Diesem kleinen Wunder der Natur sind die Wissenschaftler auf der Spur. Eine wichtige Funktion spielt dabei der von Willebrand-Faktor (VWF). Sehr hohe Fließgeschwindigkeiten, wie sie im menschlichen Körper im Bereich verletzter Gefäße auftreten, führen dazu, dass sich das ursprünglich kugelförmige Protein zu einem mehrere hundert Mikrometer langen Faden auffaltet und dabei Bindungsstellen freigibt, die zuvor im Inneren der Kugel verborgen waren. Über diese Bindungsstellen kann der VWF an verschiedene Eiweiße der verletzten Gefäßwand sowie auch der Blutplättchen binden. Unter dauerhaft starker Strömung kommt es außerdem zur Quervernetzung von VWF-Fäden (Polymere) im fließenden Blut, an die sich Blutplättchen (Kolloide) heften können. Diese Polymer-Kolloid-Aggregate bilden einen kleinen Blutpfropf, der die Wunde verschließt.
Diese Vorgänge postulierten die Wissenschaftler auf der Basis theoretischer Modelle in computergestützten Simulationen. Es fehlte jedoch der experimentelle Beweis und es stellte sich folgende Frage: Wie kommt es, dass die Blutgerinnung nur lokal an der Verletzung vonstattengeht und es dabei nicht zum Verschluss von unverletzten Gefäßen kommt? Die Mannheimer Wissenschaftler konnten diese Theorie jetzt mithilfe eines dem menschlichen Blutgefäß nachempfundenen Flusskammersystems experimentell belegen. Sie konnten nachweisen, dass nur Aggregate aus VWF und Blutplättchen, die Kontakt zur Wunde finden, ihre blutstillende Wirkung zeigen. Schwimmen sie an der Wunde vorbei, so zerfallen sie aufgrund der veränderten Scherkräfte binnen Sekunden vollständig. Es bildet sich also gezielt nur am Ort der Gefäßverletzung ein kleiner Blutpfropfen, und es kommt daher nicht zum Verschluss von unverletzten Gefäßen.
Die erfolgreiche Aufklärung dieses Mechanismus kann dazu beitragen, die Diagnostik und Therapie von Blutgerinnungsstörungen, Thrombosen und Schlaganfällen zu verbessern.
Quelle: Dr. Eva Maria Wellnitz Wissenschaftskommunikation der Medizinischen Fakultät Universitätsmedizin Mannheim
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